Politik
für Alleinerziehende?
Wahlprüfsteine
des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter,
Bundesverband
e. V. (VAMV) zur Bundestagswahl 2013
Fragen und Forderungen an die Parteien
Jede fünfte Familie in
Deutschland ist heute eine Einelternfamilie. Tendenz: Weiter steigend. Waren es
1996 schon 1,3 Millionen alleinerziehende Mütter oder Väter, sind es heute
bereits 1,6 Millionen. Mit 90 Prozent ist die Mehrheit der Alleinerziehenden
weiblich. Insgesamt leben in diesen Familien 2,2 Millionen Kinder unter 18
Jahren.
Alleinerziehende sind
gegenüber anderen Familienformen schlechter gestellt (Steuerrecht, Unterhalt),
als Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt (unfreiwillige Teilzeit,
Niedriglohn, ungleiche Bezahlung) und werden als Mütter in ihren Bedarfen
faktisch noch immer ignoriert (flexible gute Kinderbetreuung und
Ganztagsschulen) und werden schließlich im Alter überproportional häufig von
Altersarmut betroffen sein (geringe Beiträge, wenig private Vorsorgemöglichkeiten).
Alleinerziehende leisten viel, aber sie haben weder die gleichen Chancen noch
die gleiche Teilhabe mit den bekannten langfristigen Auswirkungen für ihre Kinder.
Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik muss das Leitbild des existenzsichernd erwerbstätigen Erwachsenen
mit familiären Fürsorgepflichten umsetzen, damit alle Familien ob vor oder nach
einer Trennung oder Scheidung, ob mit einem oder drei Kindern ein Leben
oberhalb von Armutsgrenzen ermöglicht werden kann.
Bitte legen Sie in Ihren
Antworten auch dar, bei welchen Ihrer Forderungen Sie in
Koalitionsverhandlungen nicht zu Kompromissen bereit wären.
1.
Familienpolitik
Der Anteil Alleinerziehender an
allen Familien steigt ebenso wie der der nicht-ehelichen Partnerschaften. Der
Anteil von Ehepaaren mit Kindern sinkt. Familienpolitische Leistungen sind trotzdem
nach wie vor an der Zweielternfamilie mit verheirateten Eltern ausgerichtet. Verheiratete
profitieren weitaus stärker von der beitragsfreien Familienmitversicherung in
der gesetzlichen Krankenkasse. Mit den steuerrechtlichen Kinderfreibeträgen, können
bis zu 100 Euro mehr Entlastung zusätzlich zum Kindergeld erreicht werden. Die
je nach Familienform unterschiedliche Verteilungswirkung familienpolitischer
Leistungen benachteiligt sowohl partnerschaftlich arbeitsteilige Elternpaare
als auch Einelternfamilien.
1.1. Welchem
Leitbild von Familien folgt Ihre Partei in der Familienpolitik?
1.2. Welche
Ziele verfolgt Ihre Partei in der Familienpolitik?
1.3. Wie
will Ihre Partei sicherstellen, dass die Vielfalt der Familienformen
gleichermaßen unterstützt wird?
Der VAMV setzt sich für eine
gleichstellungsorientierte Familienpolitik ein, damit Väter und Mütter Beruf
und Familie gut vereinbaren können und über den Lebensverlauf hinweg jederzeit
in der Lage sind, ihre Existenz selbstständig zu sichern. Familienpolitische
Leistungen sollten dies befördern.
1.4. Inwiefern
will Ihre Partei das Elterngeld reformieren hinsichtlich einer paritätischen Ausweitung
der Partnermonate?
1.5. Fordert
Ihre Partei für Alleinerziehende mit gemeinsamen Sorgerecht den
Elterngeldanspruch auf 14 Monate auszuweiten?
1.6. Wie
bewertet Ihre Partei das neu eingeführte Betreuungsgeld? Was wird Ihre Partei
tun, um das Betreuungsgeld abzuschaffen?
2.
Steuerpolitik
Im Rahmen der Steuerpolitik
kann der Gesetzgeber lenkend in die Höhe von Haushaltseinkommen eingreifen. Für
Familienhaushalte ist insbesondere das Ehegattensplitting von Bedeutung, da es
Eheleute mit ungleichen Einkommen mit bis zu 15.000 Euro im Jahr steuerlich
entlastet. Alleinerziehende in Steuerklasse II können jährlich lediglich einen
Entlastungsbetrag von 1.308 Euro absetzen. Das Modell des männlichen Ernährers
mit weiblicher Zuverdienerin wird mit dem Ehegattensplitting strukturell
unterstützt. Trennen sich diese Paare, ist es für die Frauen häufig nicht
leicht, eine existenzsichernde Arbeit zu finden und diese mit dem
Alleinerziehen zu vereinbaren. Das Unterhaltsrecht setzt anders als das
Ehegattensplitting auf Eigenständigkeit in der Existenzsicherung.
Eine Besserstellung von
Verheirateten ist verfassungsrechtlich nicht geboten.
2.1. Unterstützt
Ihre Partei die Forderung des VAMV, das Ehegattensplitting abzuschaffen und
stattdessen die Individualbesteuerung einzuführen?
2.2. Fordert
Ihre Partei in ihrem Wahlprogramm eine Anhebung des Entlastungsbetrags in der Steuerklasse
II für Alleinerziehende?
Eine weitere Möglichkeit für
eine gerechtere Besteuerung von Familien sieht der VAMV in der Einführung des
ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent auf Produkte und Dienstleistungen
für Kinder. Kleine Einkommen werden durch pauschale Steuern überproportional
belastet. Mit der reduzierten Mehrwertsteuer würden niedrige Einkommen in allen
Familienhaushalten spürbar entlastet.
2.3. Unterstützt
Ihre Partei die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Produkte
und Dienstleistungen für Kinder?
3.
Bildungspolitik
Neben dem Zugang zu
Erwerbsarbeit sieht der VAMV in der Chancengleichheit im Bildungssystem den
Schlüssel zur Erhöhung der sozialen Mobilität. Nach wie vor gibt es in
Deutschland einen engen Zusammenhang zwischen finanzieller Ausstattung des
Elternhauses und erreichten Bildungsabschlüssen der Kinder. Kinder aus
einkommensschwachen Haushalten können darüber hinaus weniger an
außerschulischen Aktivitäten partizipieren. Auch das Bildungs- und
Teilhabepaket, als Teil des kindlichen Existenzminimums, kommt bei der Hälfte
der Berechtigten nicht an.
Der VAMV plädiert für die
Einführung qualitativ hochwertiger, ganztägiger sowie gebührenfreier
Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Der VAMV fordert die Bundespolitik auf,
in der Bildungspolitik wieder mehr Verantwortung zu übernehmen.
3.1. Setzt
sich Ihre Partei für einen weiteren Ausbau flexibler Kinderbetreuung, auch im
Bereich der ganztägigen Grundschulen und weiterführenden Schulen, ein?
3.2. Fordert
Ihre Partei einen gebührenfreien Zugang zu Betreuungs- und
Bildungseinrichtungen damit alle Kinder gleiche Chancen auf Bildung haben?
3.3. Wie
will Ihre Partei sicherstellen, dass Kindern in Armut das Existenzminimum im
Bereich Bildung und Teilhabe garantiert wird?
4.
Sozialpolitik
Alleinerziehendenhaushalte
weisen im Vergleich zu Paarhaushalten die höhere Armutsrisikoquote auf. Kinder
von Alleinerziehenden haben mit 46,2 Prozent im Vergleich zu Kindern in
Paarhaushalten ein mindestens doppelt so hohes Armutsrisiko. Daran hat sich
auch in der vergangenen Legislaturperiode nichts geändert. Da das Kindergeld
vollständig auf Sozialleistungen angerechnet wird, bietet es gerade für
Haushalte mit niedrigen Einkommen keinen Schutz vor Kinderarmut. Der VAMV fordert die Einführung einer
Kindergrundsicherung unabhängig vom Einkommen der Eltern, in der alle
kindbezogenen Transfers zusammengefasst werden.
4.1. Mit
welchen konkreten Maßnahmen möchte Ihre Partei Kinderarmut bekämpfen?
4.2. Wird
sich Ihre Partei für die Kindergrundsicherung entsprechend dem Modell des VAMV
einsetzen?
Die sozialrechtlichen
Regelsätze (SGB II und SGB XII) sowohl für Kinder wie auch Erwachsene liegen
unterhalb der Armutsrisikoschwellen. Der VAMV bewertet das System der
Mindestsicherung nicht als ein Armut vermeidendes Instrument.
4.3. Setzt
sich Ihre Partei für eine bedarfsgerechte Neubemessung der sozialrechtlichen
Regelsätze ein?
In der Renten-, Kranken-
sowie Pflegeversicherung setzt sich der Trend zur Privatisierung fort. Doch
gerade Personen mit niedrigen Erwerbseinkommen, zu denen Alleinerziehende
überproportional gehören, sind zwar Adressat der Förderung privater Vorsorge,
aber oft nicht in der Lage, zusätzliches Geld in die Altersvorsorge zu stecken.
Alleinerziehende werden zukünftig überdurchschnittlich häufig von Altersarmut
betroffen sein.
4.4. Wie
will Ihre Partei sicherstellen, dass Alleinerziehende bis ins Alter gegen Armut
abgesichert leben können?
4.5. Ist
Ihre Partei dafür, dass auch die vor 1992 geborenen Kinder im Rentenrecht mit 3
Jahren Erziehungszeit berücksichtigt werden?
5.
Arbeitsmarktpolitik
Für den VAMV ist der Zugang
zu existenzsichernder Erwerbsarbeit für Eltern allgemein und für
Alleinerziehende im Besonderen ebenfalls von zentraler Bedeutung.
Alleinerziehende Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt nicht benachteiligt, weil sie
alleinerziehende Frauen sind, sondern erstens weil sie Frauen sind und zweitens
weil sie Mütter sind.
Aus Sicht des VAMV sind es insbesondere
fehlende Arbeitsplätze sowie Niedriglöhne, die einer eigenständigen
Existenzsicherung von Alleinerziehenden und ihren Kindern entgegen stehen. Mit
40 Prozent sind Alleinerziehende im Bezug von SGB II-Leistungen
überrepräsentiert, ein Drittel dieser Alleinerziehenden beziehen allerdings als
sogenannte „Aufstockerinnen“ ergänzende Leistungen, da ihr Erwerbseinkommen
nicht existenzsichernd ist.
Der VAMV fordert deshalb eine
Arbeitsmarktpolitik, die die Gleichstellung der Geschlechter sowie die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Blick hat.
5.1. Wie
will Ihre Partei dem Wunsch vieler Mütter und Väter nach mehr vollzeitnahen
Teilzeitstellen gerecht werden?
5.2. Mit
welchen Strategien will Ihre Partei den Verdienstabstand von Frauen und Männern
verringern?
5.3. Schließt
sich Ihre Partei der Forderung von Frauenverbänden, Gewerkschaften und des VAMV
an, die Minijobs abzuschaffen?
5.4. Setzt
sich Ihre Partei für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein, um
der Ausweitung des Niedriglohnsektors insbesondere in sogenannten frauentypischen
Branchen Einhalt zu gebieten?
5.5. Spricht
sich Ihre Partei für die Quotierung von Aufsichtsräten und Vorständen aus bzw.
welche Strategien verfolgt Ihre Partei um Frauen in Führungspositionen zu
fördern?
6.
Unterhalt und Unterhaltsvorschuss
Alleinerziehende und ihre
Kinder können sich laut repräsentativen Befragungen nur zur Hälfte auf die
ihnen zustehenden Unterhaltszahlungen in voller Höhe verlassen, weil der
Barunterhaltspflichtige nicht zahlen kann oder nicht will. Genaue Daten zu
Kindesunterhalt aber auch Betreuungs- und Ehegattenunterhalt fehlen. Die
Ersatz- und Ausfallleistung Unterhaltsvorschuss wird maximal für 72 Monate
gezahlt, solange das Kind noch nicht 12 Jahre alt ist. Kinder bis zum sechsten
Geburtstag erhalten 133 Euro im Monat, Kinder bis zum 12. Lebensjahr haben
einen monatlichen Anspruch auf 180 Euro. Derzeit beziehen circa 500.000 Kinder
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Anders als beim Unterhalt wird
beim Unterhaltsvorschuss das Kindergeld in voller Höhe angerechnet.
Alleinerziehende müssen bei
der Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche besser unterstützt werden,
schließlich ist das Nichtzahlen von Unterhalt bei Leistungsfähigkeit kein
Kavaliersdelikt. Der VAMV fordert als Beitrag zur Armutsbekämpfung bei Kindern
von Alleinerziehenden einen Ausbau des Unterhaltsvorschusses und eine Angleichung an das Unterhaltsrecht: Aufhebung der Befristung von
72 Monaten, Anhebung der Altersgrenze bis mindestens 18 Jahre, hälftige
Anrechnung des Kindergeldes sowie verbesserte Rückgriffmöglichkeiten.
6.1. Inwieweit
setzt sich Ihre Partei für den Ausbau des Unterhaltsvorschusses ein?
6.2. Wo
sieht Ihre Partei Möglichkeiten, den Unterhaltsanspruch besser durchzusetzen?
6.3. Wie
stellt Ihre Partei sicher, dass der Kindesunterhalt die tatsächlichen Lebenshaltungskosten
deckt?
6.4. Plant
Ihre Partei, differenzierte Daten zu gezahltem Unterhalt im Rahmen der
Bundesstatistik erheben zu lassen?
7.
Kindschaftsrecht
Die bei Trennung und Scheidung gerichtlich und
außergerichtlich getroffenen Regelungen der Eltern in Bezug auf Umgang,
Unterhalt und elterliche Sorge haben direkten Einfluss auf den Alltag der
betroffenen Kinder. Um dabei dem Wohl der Kinder tatsächlich zu entsprechen
gilt es, die Beteiligung der Kinder im familienrechtlichen Verfahren weiter zu
stärken. Auch die UN-Kinderrechtskonvention fordert in Artikel 12, den
Kindeswillen in entsprechenden gerichtlichen Verfahren zu hören und zu
berücksichtigen. Der VAMV setzt sich für mehr Rechte der Kinder ein: Aktuell können sich Kinder, beispielsweise gegen
Umgangsentscheidungen der Eltern/des Gerichts, nicht zur Wehr setzen. Sie haben
kein Recht, seitens des Gerichts bestellte Verfahrensbeistände abzulehnen. Bei
der Neuregelung des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern wurde
darüber hinaus ein neues schriftliches Schnellverfahren eingeführt, welches
ermöglicht, ohne persönliche Anhörung der Eltern und ohne eine
Kindeswohlprüfung über das Sorgerecht entscheiden zu können.
7.1. Wie
setzen Sie sich dafür ein, das Recht des Kindes bei Trennung/Scheidung der Eltern
in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken und nicht das Recht der Eltern am
Kind?
7.2. Fordert Ihre Partei die
Abschaffung des neuen Schnellverfahrens beim Sorgerecht nicht miteinander
verheirateter Eltern?
Das gemeinsame
Sorgerecht in Deutschland funktioniert nach dem Konsensprinzip: getrennt
lebende Eltern müssen sich bei wichtigen Entscheidungen, die das Kind betreffen,
einig werden. Dazu zählt zum Beispiel die Schulwahl. Im Alltag müssen diese
Entscheidungen jedoch in erster Linie vom betreuenden Elternteil umgesetzt
werden, er/sie trägt in erster Linie die Sorgepflicht: Logistik des Alltags
etwa bei Wegen, Versorgung, Betreuung und Erziehung, schulische Förderung,
Gesundheitsversorgung, wirtschaftliche Verantwortung. Gemeinsame Entscheidung –
alleinige Verantwortung. Diese Schieflage wurde durch die Sorgerechtsreform nun
auch auf nicht miteinander verheiratete Eltern ausgeweitet. Aus Sicht des VAMV
wird es daher notwendig sein, die gemeinsame Sorge alltagstauglicher zu
gestalten. In anderen europäischen Rechtsordnungen ermöglicht die gemeinsame
Sorge dem betreuenden Elternteil mehr Handlungsmöglichkeiten im Alltag. Das
Einverständnis des nicht betreuenden Elternteils wird bei Entscheidungen, die
das Kind betreffen vermutet.
7.3. Diskutiert
Ihre Partei die Weiterentwicklung der gemeinsamen Sorge, um die
Handlungsfähigkeit von alleinerziehenden Eltern im Alltag zu verbessern?
7.4. Sucht
Ihre Partei nach Lösungen, damit Sorgerecht und -pflichten der Kindererziehung
nicht mehr auseinanderfallen?